Als Vorstandsmitglied des Netzwerk Berlin freut sich Susann Rüthrich über die Positionierung.
Chancen nutzen. Risiken vermeiden. Zwölf Thesen zu TTIP und CETA
Die geplanten Freihandelsabkommen mit Nordamerika, TTIP und CETA, verursachen bei vielen Menschen Skepsis, werfen wichtige Fragen auf und sorgen für Debatten. Im Gegensatz zu anderen Parteien und Organisationen duckt sich die SPD nicht weg, sondern stellt sich mit offenem Visier den Diskussionen. In Deutschland und Europa hat die SPD durch ihr Engagement viel erreicht: Der Verhandlungsprozess ist wesentlich transparenter geworden und viele sozialdemokratische Kernforderungen sind nun gemeinsame europäische Positionen. Auch das Netzwerk Berlin hat es sich nicht leicht gemacht: In den letzten Monaten haben wir uns intensiv mit Fragen rund um das Thema Freihandel und seine Auswirkungen auf unser Leben beschäftigt. In zahlreichen Gesprächen mit Expertinnen und Experten haben wir das Für und Wider sorgfältig abgewogen. So diskutierten wir mit Vertreterinnen und Vertretern der EU-Kommission, der Bundesregierung, kommunaler Verbände, zivilgesellschaftlicher Organisationen, multinationaler Konzerne und nationaler Kulturinstitutionen, mit Juristinnen und Juristen verschiedener Fachbereiche sowie mit Verbraucherschützerinnen und Verbraucherschützern. Wir kommen zu dem Schluss, dass es uns in den Verhandlungen gelingen muss, die Chancen des Freihandels für wirtschaftliches Wachstum, sozialen Fortschritt und ökologische Verantwortung zu nutzen und Risiken zu vermeiden, die damit einhergehen könnten. Darum müssen die Verhandlungen ohne Zeitdruck und mit maximaler Transparenz geführt werden.
Wir leben in einer globalisierten Welt: Wir rücken immer mehr zusammen, das Leben Aller ist zunehmend miteinander verflochten und gegenseitige Abhängigkeiten wachsen. Dieser Trend ist nicht aufzuhalten und erst recht nicht rückgängig zu machen. Diese Realität erkennen wir an. Das heißt aber keinesfalls, dass wir uns der globalisierten Welt ergeben. Im Gegenteil: Wir wollen die Globalisierung gestalten, indem wir international gültige Regeln vereinbaren, die zu einem Höchstmaß an Fortschritt und Gerechtigkeit für möglichst viele Menschen führen. Das ist unsere Richtschnur in der Bewertung von TTIP und CETA.
1. Wir sagen Ja zu den Chancen, die der Freihandel bietet, zu den Chancen, die in den aktuell diskutierten Abkommen CETA und TTIP liegen. Nichtsdestotrotz sehen wir sehr wohl auch die Grenzen und Risiken.
2. Wir sagen Ja zu der herausragenden Bedeutung und fortlaufenden Stärkung der transatlantischen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Nordamerika (USA und Kanada) – und zwar in politischer, wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Hinsicht. Auch wenn unsere Werte nicht immer zu hundert Prozent identisch sind, so teilen wir doch ein stabiles Wertefundament, das uns von vielen anderen Ländern dieser Welt positiv abhebt. Das europäische und nordamerikanische Wertesystem ist gekennzeichnet von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, von stabilen Demokratien und Rechtsstaatlichkeit sowie ökonomischen, sozialen und ökologischen Standards – Werte, die Millionen von Menschen weltweit vorenthalten werden.
3. Wir sagen Ja, wenn es darum geht, unseren wertebasierten Standards und höchsten Schutzniveaus weltweit Geltung zu verschaffen. Denn die globalisierte Welt braucht Regeln. In den kommenden Jahren entscheidet sich, wer diese Regeln setzt. In der transatlantischen Allianz zwischen Europa und Nordamerika liegt die Chance, Regeln auf Grundlage unserer gemeinsamen Werte zu vereinbaren und sie zum Maßstab wirtschaftlichen Handelns im globalen Wettbewerb zu machen.
4. Wir sagen Ja zu freiem Handel, zum wechselseitigen Zugang von Waren und Dienstleistungen auf die nationalen und regionalen Märkte. Dies bietet den einzelnen Volkswirtschaften Entwicklungspotentiale und damit letztendlich die Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg und soziale Gerechtigkeit – nicht zuletzt auch für Deutschland.
5. Wir sagen Ja zur Verankerung der ILO-Kernarbeitsnormen in Freihandelsabkommen. Es muss uns gelingen, im TTIP-Abkommen die besten Arbeitsnormen verbindlich abzusichern, die jemals in Freihandelsabkommen festgeschrieben wurden.
6. Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir nicht alle hohen und höchsten Standards, die in Deutschland gelten und die wir für allgemeingültig erklären wollen, mit diesen Abkommen für alle verbindlich festschreiben können. Wir müssen aber ausschließen, dass Arbeitnehmerrechte, Verbraucher-, Sozial- und Umweltstandards gefährdet werden. Wo es uns nicht gelingt, uns auf den jeweils höchsten Standard zu einigen, sollten wir auf das Prinzip der Harmonisierung verzichten. Unser Ziel bleibt eine Verbesserung der Standards für alle Seiten. Nicht allgemeinverbindlich erklärte Standards dürfen keine Handelshemmnisse darstellen.
7. Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir in Deutschland und Europa von nordamerikanischen Standards profitieren können. Denn nicht jeder europäische Standard ist per se besser als in den USA oder Kanada. In vielen Bereichen ist das Gegenteil der Fall. Daher üben wir uns nicht in eurozentristischer Überheblichkeit, sondern wir wollen, dass beide Seiten des Atlantiks gleichberechtigt voneinander profitieren.
8. Wir sind uns darüber im Klaren, dass TTIP und CETA keine deutsch-nordamerikanischen Handelsabkommen sind, sondern darin alle europäischen Interessen berücksichtigt werden müssen. Wir respektieren die Bedürfnisse und Wünsche unserer europäischen Partner, selbst wenn diese nicht unseren eigenen Überzeugungen entsprechen sollten.
9. Wir sind uns darüber im Klaren, dass Investitionsschutzmechanismen Bestandteil der Abkommen sein werden. Wir sind bereit, dies mitzutragen – insbesondere im Interesse unserer europäischen Partner und auch mit Blick auf die Sicherung deutscher Investitionen im Ausland.
10. Wir sagen Nein zu Systemen der privaten Schiedsstellen, die intransparent und jenseits rechtsstaatlicher Normen und demokratischer Legitimation bestehende Rechtssysteme unterlaufen. Stattdessen brauchen wir neue Grundsätze für ein modernes Investitionsschutzsystem, das einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Staaten und Investoren gewährleistet. Dazu wollen wir ein internationales Handels- und Investitionsgericht aufbauen; öffentliche Verhandlungen, die Unabhängigkeit der Richter und die Möglichkeit, eine zweite Instanz anzurufen, müssen darin garantiert werden.
11. Wir sagen Nein zu jeglichem Zwang, in öffentlicher Verantwortung stehende Aufgaben (beispielsweise im Bereich der Daseinsvorsorge) privaten Marktteilnehmern zugänglich machen zu müssen. Staatliche Souveränität darf nicht durch die Hintertür untergraben werden. Hierzu gehört auch der gesamte Bereich der Kulturpolitik. Die Mitgliedstaaten der EU müssen auch weiterhin das Recht haben, die öffentliche Kultur- und Medienförderung vollständig zu erhalten.
12. Wir sagen Nein zu Regelungen, die sich nachteilig auf die ökonomische, soziale oder ökologische Entwicklung von Schwellen- und Entwicklungsländern auswirken. Transatlantische Handelsabkommen sollten stattdessen einen Beitrag leisten zu einem fairen und nachhaltigen Welthandelssystem.
Berlin, Juni 2015
https://www.netzwerkberlin.de/