Frank Richter im Interview mit Markus Meckel
Am Sonntag, 18.Oktober 2020 fand im Theaterkahn Dresden eine Gesprächsveranstaltung statt, an der auch Markus Meckel (SPD), letzter Außenminister der DDR, teilnahm. Die Veranstaltung, die in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung organisiert wurde, trug den Titel „30 Jahre danach. Was ist von der DDR übrig geblieben?“
Aus diesem Anlass führte Frank Richter, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, ein Interview mit Markus Meckel:
1) Die Veranstaltung auf dem Theaterkahn Dresden am 18.Oktober trug den Titel: „30 Jahre danach. Was ist von der DDR übrig geblieben?“
Meine Frage an Dich: Ist etwas übrig geblieben, und wenn ja, was?
Meckel: „Die DDR ist die eine Seite der geteilten Nachkriegsgeschichte Deutschlands in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der keiner dieser beiden Staaten wirklich verstanden kann ohne den Bezug auf den anderen!Die DDR ist Teil der Lebenswirklichkeit jedes Menschen, der sie erlebt hat – und das bleibt, solange man lebt. Solange ich also lebe, ist sie in mir lebendige Wirklichkeit und Erfahrung, gehört zu meinem Leben. Das gilt auch (und vielleicht gerade auch) dann, wenn ich mich kritisch mit ihr auseinandergesetzt habe.“
2) Politiker unterschiedlicher Couleur bezeichnen die DDR als „Unrechtsstaat“, vielleicht meinen sie, damit sei damit alles oder zumindest das Wesentliche gesagt. Wie ordnest Du diesen Begriff ein?
Meckel: „Klarer ist, wenn man von einer Diktatur spricht. Der Begriff „Unrechtsstaat“ ist nicht wirklich klar, da er das Missverständnis birgt, alles in der DDR wäre Unrecht gewesen. Dann aber dürfte nicht einmal eine Ehe, die in der DDR geschlossen wurde, gültig sein. Wenn man „Unrechtsstaat“ so definiert, dass der Staat in jeden Rechtsakt in seinem Interesse eingreifen kann und dies auch praktiziert, sobald er es will, dann waren sowohl der NS-Staat wie die DDR Unrechtsstaaten – denn beide haben dies praktiziert.“
3) Hat die Existenz der DDR historisch und aus heutiger Perspektive gesehen, einen Sinn gehabt oder zumindest eine Funktion erfüllt?
Meckel: „Ich habe Schwierigkeiten, geschichtlichen Entwicklungen einen „Sinn“ zu geben. Die Teilung war Folge des verbrecherischen Krieges, den Hitlerdeutschland geführt hat. Die Sowjetunion hat „ihrem“ Teil Deutschlands und Europas das eigene System auferlegt – was relativ bald absehbar war. Sinn? Ich weiß nicht..!“
4) Das letzte Jahr der DDR war ihr bestes. Welches war für Dich das Ereignis in diesem letzten Jahr – ich meine die Zeit vom Oktober 1989 bis zum Oktober 1990 – an das Du Dich am liebsten erinnerst? An welches möchtest Du lieber nicht erinnert werden?
Meckel: „Ja, die DDR ging nicht unter, sondern die kommunistische Diktatur. Sie wurde in einer Friedlichen Revolution hinweggefegt, Ergebnis des friedlichen Übergangs am Runden Tisch war die freie Wahl. So wurde die DDR zu einer Demokratie. In freier Selbstbestimmung wollte die große Mehrheit der DDR-Bürger die deutsche Einheit. Diesem Ziel war die erste frei gewählte DDR-Regierung verpflichtet. Sie verhandelte die deutsche Einheit mit der Bundesregierung und den Alliierten – die entsprechenden Verträge regelten die konkreten Fragen. Das Ergebnis war die deutsche Einheit, beschlossen von der frei gewählten Volkskammer als Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. Insofern gilt: die DDR-Bürger sind aufrecht und selbstbestimmt in die Deutsche Einheit gegangen! Gleichzeitig jedoch gilt: in diesen Verhandlungen zur deutschen Einheit hat die Bundesregierung ihre Dominanz z.T. gnadenlos ausgenutzt und es am nötigen Respekt, an der angemessenen Empathie fehlen lassen. Das spürten viele DDR-Bürger – es hatte langfristige mentale Folgen.“
5) Der Begriff des Sozialismus scheint, gerade auch im Osten Deutschlands, seit dem Untergang der DDR vollständig und für immer diskreditiert. Die SPD hält in ihrem Grundsatzprogramm am demokratischen Sozialismus fest. Warum? Und wie lässt sich das vermitteln?
Meckel: „Der Sozialismus-Begriff ist durch die Erfahrung mit der DDR (und dem ganzen kommunistischen Ostblock) völlig diskreditiert und als politischer Orientierungsbegriff für eine „gerechtere Gesellschaft“ unbrauchbar. Als politischer programmatischer Begriff hat er ausgedient, denn jeder Bürger, der DDR-Erfahrung gemacht hat, verbindet ihn mit dieser. Deshalb müsste die SPD ihn aus ihrem Programm streichen! Dass dies nicht geschehen ist, hat wesentlich mit der westgeprägten „linken“ Ignoranz zu tun, die Erfahrungen im Osten nicht ernst zu nehmen.“
(Natürlich hatte der Sozialismusbegriff ursprünglich die Bedeutung der Orientierung auf eine gerechte Gesellschaft – doch das kann nur noch Thema in einem historischen und vielleicht auch philosophischen Seminar sein!)