»Pflegende und Pflegebedürftige dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.«
In der Krise braucht es mehr als Beifallklatschen. Wir haben mit der AWO-Landesvorsitzenden Margit Weihnert und Sachsens SPD-Vorsitzenden Martin Dulig über die Anerkennung der Leistung der vielen tausend Pflegekräfte in Sachsen gesprochen – und was jetzt geschehen muss.
Liebe Margit, die Ausbreitung des Corona-Virus hat sich seit Mai spürbar verlangsamt. Wenn du auf die letzten vier Monate zurückblickst, was hat dich am meisten bewegt?
Weihnert: Gerade am Anfang der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie groß die Solidarität und Hilfsbereitschaft in unserer Gesellschaft ist. Viele Menschen haben denjenigen geholfen, die in der Krise vor besonderen Herausforderungen standen und nach wie vor stehen, z.B. ältere Menschen und Personen mit Vorerkrankungen. Wir waren von dem Ausmaß der Hilfsbereitschaft bei uns in der AWO wirklich überwältigt – da wurden hunderte Bilder und Grüße in unsere Pflegeinrichtungen geschickt, Videos für die Kinder zuhause gedreht, Nachbarschaftshilfe geleistet und Masken genäht – um nur einige Beispiele zu nennen. Natürlich war gerade die angespannte Situation in unseren Pflegeeinrichtungen eine große Herausforderung. Unsere Pflegenden und Mitarbeitenden lebten jeden Tag in der Angst, dass es zu einem schweren Ausbruch kommt. Gleichzeitig mussten sie in der schweren Zeit der Isolation für die zu Pflegenden mit besonderer Empathie und Feingefühl da sein. Das ist keine leichte Situation, in der unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine großartige Arbeit geleistet haben. Ich möchte aber nicht vergessen zu erwähnen, dass auch in anderen Bereichen der sozialen Arbeit während Corona ein herausragender Einsatz gezeigt wurde – sei es in der Betreuung der Menschen mit Behinderung, der Notbetreuung und den eingeschränkten Regelbetrieb in unseren Kitas, den Einsatz in unseren Kinderheimen oder der wichtigen Arbeit in unseren Beratungsstellen, in denen die Mitarbeitenden per Telefon und Email die ganze Zeit über für die Menschen erreichbar waren.
Dulig: Es gehört zur Ehrlichkeit dazu, zu sagen, dass niemand von uns sich jemals mit einer so weitreichenden, weltweiten Pandemie auseinandersetzen musste. Wir sind alle Lernende. Auch wenn es natürlich Pandemiepläne in den Bundes- und Landesministerien gibt, umgesetzt wurden sie noch nie. Ich habe deshalb größten Respekt vor denjenigen, die von Anfang an vorderster Front gestanden haben und unter schwierigsten Umständen für andere Menschen da waren. Besonders in den Pflegeeinrichtungen ist diese Leistung nicht hoch genug wertzuschätzen.
Es gab aber auch viele bewegende Solidaritätsbekundungen: Es wurde Beifall geklatscht und es gab spontane Konzerte in den Innenhöfen der Alten- und Pflegeheime. Wie wurde das in den Pflegeheimen aufgenommen, Margit?
Weihnert: Die musikalischen Solidaritätsbekundungen waren eine sehr schöne Abwechslung für unsere Bewohnerinnen und Bewohner und spendeten Trost und Zuversicht. Denn natürlich haben die Menschen in unseren Einrichtungen ihre Verwandten und den Besuch vermisst. Auch die Applaus-Aktionen, an der sich auch viele AWO Gliederungen beteiligt haben, waren eine wichtige Geste der Wertschätzung. Es war schön zu sehen, dass die Pflege endlich jene Anerkennung erhält, die sie verdient. Allerdings befürchten wir, dass die Aufmerksamkeit nach dem Abebben der Corona-Krise ebenfalls wieder schwindet. Da sehen wir uns als Wohlfahrtsverband auch in der Pflicht.
Was muss aus deiner Sicht geschehen?
Weihnert: Wir machen seit Jahren auf mangelnde Bezahlung, zu verbessernde Arbeitsbedingungen und gesellschaftliche Anerkennung in der Pflege aufmerksam. Ich hoffe, dass wir jetzt auch gesellschaftlich aus der Krise lernen und Pflegeberufe und die Leistung der vielen tausend Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dauerhaft mehr wertschätzen. Wir müssen den Rückenwind der Corona-Zeit dafür nutzen, eine langfristige Verbesserung der Rahmenbedingungen in den Pflegeberufen zu erreichen. Dazu gehört auch – aber nicht nur – eine bessere Bezahlung.
Dabei darf jedoch nicht vergessen werden: Höhere Löhne dürfen nicht zu Lasten der Pflegebedürftigen gehen. Das haben wir als AWO Sachsen schon vor einem Jahr sehr deutlich gemacht, als wir die bundesweite Petition zur Begrenzung der Eigenanteile in der Pflege auf den Weg brachten. Pflegende und Pflegebedürftige dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Martin, was hat die Politik hier verschlafen?
Dulig: Ganz grundsätzlich kann ich Margit nur zustimmen. Ich erwarte, dass wir aus der Krise lernen und auch politisch merklich vorwärtskommen, wenn es um die Anerkennung der Pflege geht. Den in der Krise auf den Weg gebrachte Pflegebonus halte ich für ein gutes Signal, aber er kann nur ein erster Schritt sein. Was wir brauchen, ist vor allem ein verändertes, gesellschaftliches Problembewusstsein. Gleichzeitig benötigen wir neue Impulse in der Politik und bessere Entscheidungen in den Ministerien und an den Kabinettstischen.
Wie kann das aussehen?
Dulig: Als SPD Sachsen haben wir mit unserer Staatsministerin für Soziales, Petra Köpping, hart dafür gekämpft, dass der Bundes-Pflegebonus durch einen sächsischen Anteil aufgestockt wird. Das haben wir geschafft. Jetzt müssen wir gemeinsam daran arbeiten, zu gesellschaftlichen Mehrheiten zu kommen, um wirkliche Verbesserungen in der Pflege zu erzielen. Ich denke da vor allem an eine bessere Bezahlung – das werden wir nur mit einem flächendenkenden Tarifvertrag für die Pflege erreichen können. Dafür brauchen wir aber auch entsprechende Mehrheiten. Allein mit der Problemerkenntnis ist das leider nicht getan. Mit der SPD und Petra Köpping als Ministerin im Landesministerium bin ich aber guter Dinge, dass wir in den nächsten Jahren einen Kulturwandel in der Pflege auf den Weg bringen können.
Wie siehst du das Margit?
Weihnert: Die Arbeiterwohlfahrt und die SPD haben beide ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung. Unser Handeln als AWO ist geprägt durch unsere Werte Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Wir werden gerade deshalb nicht müde, unsere Ideen, Wünsche und Vorstellungen auch in der Partei laut zu artikulieren und eine starke Stimme für die Pflege und unseren Dienst für die Menschen zu sein. Wir haben einen guten Draht zu Martin und Petra. Aber auch mit der SPD-Fraktion stehen wir zum Beispiel beim Runden Tisch Pflege im steten Austausch. Gleichzeitig sind viele Genossinnen und Genossen in der AWO engagiert. Das muss aber noch mehr werden, um die Zusammengehörigkeit unserer beiden Organisationen weiter zu stärken. Uns verbindet eine lange Tradition des gemeinsamen Strebens für soziale Gerechtigkeit und sozialen Fortschritt, für Solidarität und Gleichberechtigung – In diesem Streben wollen und werden wir uns auch in der Zukunft Seit an Seit für die sozialen Belange unserer Menschen einsetzen.
Dulig: Ich selbst bin jahrelanges Mitglied der Arbeiterwohlfahrt. Ich denke als Sozialdemokrat ist es ein Zeichen gelebter Solidarität, wenn man neben der Parteimitgliedschaft auch Mitglied in der AWO ist. Deshalb kann ich jedem und jeder Einzelnen nur wärmstens ans Herz legen – nicht nur wegen der aktuellen Situation – AWO-Mitglied zu werden und so seine Solidarität mit den zu Pflegenden und den Pflegekräften zu zeigen und sie zu unterstützen! n
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