„Wir wollen mehr Anerkennung und Chancen für alle“

Sachsen steht 27 Jahre nach dem Mauerfall gut da. Es stehen so viele Menschen in Sachsen in Arbeit wie seit 1990 nicht mehr. Dennoch sind viele unzufrieden,
manche sogar wütend. Wie die sächsische SPD dem begegnen will, darüber hat der SACHSENvorwärts mit Generalsekretärin Daniela Kolbe gesprochen.

Frau Kolbe, laut SachsenMonitor bewerten 78 Prozent der Sachsen ihre persönliche wirtschaftliche Lage mit gut oder sogar sehr gut. Warum sind dennoch so viele Menschen so unzufrieden und machen sich Sorgen?
In den vergangenen 27 Jahren hatten die Menschen vor allem Angst vor Arbeitslosigkeit. Viele mussten sich nach der Wiedervereinigung beruflich vollkommen neu orientieren, andere wurden einfach arbeitslos. Die, die das Glück hatten, Arbeit zu haben, haben sich oft mit niedrigen Löhnen abgefunden und auch nicht mehr eingefordert, auch um den eigenen Arbeitsplatz und das eigene Unternehmen nicht zu gefährden. Doch nun merkt ein Teil der sächsischen Aufbaugeneration Ost, dass sie zwar die sächsische Industrie wiederaufgebaut und das Land am Laufen halten. Sie selbst aber laufen nach einem Leben voller Arbeit auf Minirenten zu. Die Löhne sind bei vielen kaum gewachsen. Sie beklagen mangelnden Respekt und Anerkennung für ihre Lebensleistung. Sie fragen sich, was tut die Politik eigentlich für uns? Viele fühlen sich zu Recht ungerecht behandelt.

Stichwort Respekt: Ein ziemlich abstraktes Wort für konkrete Politik. Woran kann man das festmachen?
Man muss doch nur mal raus ins Land schauen: Die Polizistin muss aufgrund des Personalabbaus vor Alltagskriminalität wie Fahrraddiebstählen kapitulieren. Gleichzeitig sieht sie, wie das Weihnachtsgeld für sie und knapp 30.000 weitere Beamtinnen, Beamte, Richterinnen und Richter abgeschafft wurde. Der Altenpfleger wird schlecht bezahlt, aber ihm fehlen vor allem Kollegen oder Kolleginnen, damit die Arbeit vernünftig getan werden kann und die alten Menschen die Pflege bekommen, die ihnen zusteht. Oder die Lehrerin, der immer mehr Aufgaben gegeben wurden, bekam niemals einen zeitlichen Ausgleich dafür. Viele haben ein Grundgefühl, dass ihre Lebensleistung nicht anerkannt wird. Mangelnder Respekt hat nicht allein mit der Lohnhöhe zu tun. Die Kürzungen der letzten Jahre haben das Vertrauen vieler Sachsen beschädigt.

Neben „Anerkennung“ betont die SPD Sachsen das Thema Chancengleichheit: Feiert sich Sachsen nicht immer wegen seiner guten Bildung?
Studien zeigen, dass die Ungleichheit in Sachsen zunimmt, zwischen Großstädten und Dörfern und Kleinstädten im ländlichen Raum; zwischen armen und reichen Stadtteilen. Auch hier werfen die Umbrüche der Nachwende-Zeit ihren langen Schatten: Manche Eltern hatten damals Pech oder Unglück und verloren den Job und den Leistungswillen. Deren Kinder und Enkel leiden heute noch darunter. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen. Wir brauchen daher eine neue Politik für mehr Chancengleichheit in unserem Land. Wir müssen die Zahl der Schulabbrecher bis 2025 halbieren. Wir brauchen eine Ausbildungsgarantie für Sachsen und eine Stärkung der Oberschulen. Wir müssen uns die Kitas, die Schulen und den Übergang von Schule zum Beruf überall anschauen, um die Chancengleichheit für alle zu verbessern.

Daniela Kolbe 29.01.2016 © Goetz Schleser

Ist das der Weg der SPD Sachsen?
Ja, denn mehr Anerkennung und Chancengleichheit sind nicht nur gerecht. Sie sind auch wirtschaftlich vernünftig. Angesichts des Fachkräfte-Bedarfs ist es ein Wahnsinn, so viele junge Leute zurückzulassen. Wir brauchen gute Tariflöhne, sonst wandern weiter gute junge Leute in den Westen oder in die Städte. Zugleich muss es unser Anspruch sein, aus dem technischen Fortschritt der Digitalisierung auch einen gesellschaftlichen Fortschritt zu machen, für höhere Löhne, Teilhabe und sozialen Aufstieg. Wir müssen verhindern, dass neben der Globalisierung auch die Digitalisierung die Spaltung der Gesellschaft in Verlierer und Gewinner noch weiter vertieft. Daher müssen wir Chancengleichheit nicht nur in der Schule, sondern auch für die Erwachsenen in den Blick nehmen. Indem wir Selbständigkeit fördern, das Recht auf Weiterbildung einfordern und Abstiege verhindern.

Und wie geht es damit weiter?
Martin Dulig hat erste Leitplanken im Frühjahr in seinem „Sachsenplan Heimat 4.0“ formuliert. Wir setzen zudem manche Maßnahme bereits in der Regierung um. Diese Politik werden wir weiter konkret mit Leben füllen. Dafür werden wir zum Landesparteitag im Oktober einen Leitantrag einreichen, der in den vergangenen Monaten in einer Projektgruppe mit vielen Mitgliedern erarbeitet und diskutiert wurde. Ich freue mich auf spannende Debatten auf dem Parteitag in Neukieritzsch. Ich würde mich freuen, wenn wir darüber auch in den Ortsvereinen und Gliederungen eine breite Debatte starten könnten. Mit Blick auf das kommende Jahr werden wir die Programmarbeit mit den Schwerpunktthemen Familie sowie Digitalisierung und Innovation weiter verstetigen. Unser Ziel ist es, dass wir Sachsen für die Zukunft zu einer Innovationsschmiede machen, zu einem Land, in dem alle ihre Chancen bekommen. Und wir müssen verhindern, dass mangelnde Anerkennung und Ungerechtigkeitsgefühle unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. Dies sind Ziele, die in Sachsen nur die SPD umsetzen kann.