Von den Vorsitzenden der SPD Sachsen
Kathrin Michel und Henning Homann

Sachsen steht am Anfang der größten Modernisierung unserer Industrie und Wirtschaft seit 1990. Sachsen hat jetzt die Chance, sich in der europäischen Spitzengruppe zentraler Wirtschaftsbranchen wie der Wasserstoffwirtschaft, der Halbleiterindustrie, der Elektromobilität oder der grünen Stahlproduktion dauerhaft zu etablieren. Dazu müssen wir die großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen – Digitalisierung, Demografie und Dekarbonisierung – politisch gestalten und dürfen sie nicht nur dem Spiel der Märkte überlassen.

Wir können dabei an wichtige Erfolge anknüpfen. Gemeinsam haben die Sächsinnen und Sachsen das Land seit 1990 wieder aufgebaut. Wir haben die Massenarbeitslosigkeit überwunden, die meisten Menschen verdienen ihr Geld aus eigener Kraft. In den letzten Jahren haben wir einige Fehler der Vergangenheit aufgearbeitet und tausende Lehrer:innen, Polizist:innen und Erzieher:innen eingestellt, Kürzungen im Sozialbereich rückgängig gemacht, in die digitale Infrastruktur und die Verkehrswende investiert.

In einer Zeit, in der die industrielle Landkarte Europas neu geschrieben wird, bekommt Sachsen jetzt erstmals die Möglichkeit, die Abhängigkeit von Unternehmen mit Sitz in anderen Bundesländern oder Staaten zu verringern, für die wir als verlängerte Werkbank dienen. Durch den überlebenswichtigen klimaneutralen Umbau unserer Wirtschaft können wir gute und nachhaltige Arbeitsplätze schaffen und sichern. Das macht das Leben der Menschen in Sachsen besser und stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das ist unser Anspruch.

Dafür müssen wir jetzt Tempo machen. An wichtigen Stellen ist Sachsen noch zu langsam und zu kompliziert. Zu oft regiert der kleinste gemeinsame Nenner oder andere Fragen lenken von dem ab, was wirklich wichtig ist. So hat es über ein Jahr gedauert, bis sich die Koalition auf das Graue-Flecken-Programm für flächendeckendes schnelles Internet geeinigt hat. Seit mehr als zwei Jahren wissen wir, dass wir die Verfassung ändern müssen, um weiter in sichere Arbeitsplätze, Krankenhäuser und Schulen investieren zu können. Das geht besser, und wir haben bewiesen, dass wir es können. Wir sind uns sicher, diese Koalition kann Sachsen weiter entscheidend nach vorne bringen. Doch dazu ist es unbedingt notwendig, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Für parteipolitisches Kalkül ist jetzt nicht die Zeit.

Sachsen braucht ein klares Ziel und einen klaren Plan. Als SPD haben wir beides. Wir wollen Sachsen gemeinsam in eine erfolgreiche Zukunft führen, Wohlstand sichern und gleichzeitig den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Dazu müssen folgende vier Zukunftsprojekte im Mittelpunkt sächsischer Politik stehen:

 1. Sichere und bezahlbare Energieversorgung

Zurecht ist die Zukunft einer sicheren und bezahlbaren Energieversorgung das zentrale Thema in Deutschland. Sachsen hat über viele Jahrzehnte Energie exportiert und damit wichtige Arbeitsplätze geschaffen. Der Anspruch Energieland zu bleiben, gerät zunehmend ins Wanken. Kein Bundesland ist so langsam beim Ausbau erneuerbarer Energien wie Sachsen. Dabei lassen sich manche Politiker:innen von einer lauten Minderheit davon abhalten, endlich das ökonomisch und ökologisch Sinnvolle zu tun und zügig ausreichend Flächen für den Ausbau von Windkraft und Solaranlagen zur Verfügung zu stellen. Das wird zunehmend zu einer Bedrohung unseres Wirtschaftsstandorts.

Die Energiewende kommt mit oder ohne Sachsen. Das Energieunternehmen LEAG investiert in Brandenburg schon lange in riesige Solar- und Windparks, in Sachsen nicht. Intel begründet seine Standortentscheidung gegen Sachsen auch damit, dass hier nicht 100 Prozent erneuerbare Energien für seine Chipfabriken garantiert werden können.[1] Ohne einen massiven Ausbau von erneuerbaren Energien wird Sachsen als Wirtschaftsstandort verlieren. 

2. Zukunftsinvestitionen für sichere Arbeitsplätze

Entscheidend ist die Energieversorgung auch für die Industrie der Zukunft. Durch Strukturwandel und Transformation wird die industriepolitische Landkarte Europas neu geschrieben. Wir sind zurzeit ein führender Standort bei Elektromobilität, Halbleitertechnik, Künstlicher Intelligenz und auch im Bereich Wasserstoff. Wir haben heute die Chance auf einen Vorsprung Ost statt verlängerter Werkbänke. Nehmen wir das Beispiel der Firma Sunfire: Sie ist führend im Bereich Elektrolyse und Wasserstoff. Das Unternehmen hat die Zentrale und die Forschungsabteilung in Dresden. Und jetzt baut Sunfire Werkbänke in Westdeutschland. Das bedeutet Vorsprung Ost.

Sektorkopplung und Wasserstoffwirtschaft sind die Voraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende, nicht nur in Sachsen.

Bestes Beispiel ist die heimische Stahlindustrie. Sachsen könnte als erstes Bundesland ausschließlich „grünen“ Stahl mit Wasserstoff produzieren. Die Unternehmen sind bereit, aber es fehlt an einer verlässlichen Wasserstoffversorgung. Dazu müssen wir entweder über Pipelines Wasserstoff herleiten oder durch Wasserstoffkraftwerke (Elektrolyseure) selbst welchen herstellen. Die dringend benötigte Infrastruktur muss jetzt gebaut werden, wenn wir die Stahlproduktion und die dazugehörigen Arbeitsplätze erhalten wollen. Die Alternative, Stahlwerke täglich mit bis zu 1.500 Lkw-Ladungen Wasserstoff zu versorgen, ist keine. Da sind wir uns hoffentlich einig.

Der Umbau ist mit hohen Investitionen verbunden. Wir müssen aus guten Ansätzen in den kommenden Jahren funktionierende Industriezweige entwickeln. Das funktioniert nur durch zielgerichtete private, aber eben auch öffentliche Zukunftsinvestitionen. Genau hier macht Sachsen viel zu wenig. Andere Bundesländer und auch die europäische Konkurrenz setzen mit großen Investitionsprogrammen schon lange zum Überholen an. 

3. Neuausrichtung der Sächsischen Finanz- und Investitionspolitik

Die aktuelle Finanzpolitik in Sachsen ist ökonomisch falsch: Sachsen steht finanziell gut da. Kein anderes Bundesland hat so wenig Schulden wie Sachsen. Doch was in der Vergangenheit vielleicht der richtige Ansatz gewesen sein mag, bringt Sachsen heute in Schwierigkeiten. Durch die falsch verstandene Sparpolitik fehlt heute das Geld für dringend notwendige Investitionen. Schlimmer noch: Hält Sachsen weiter an der Schuldenbremse fest, werden wir gezwungen sein, pandemiebedingte Kredite gegen jede ökonomische Vernunft in nur sieben Jahren zurückzuzahlen. Somit werden noch weniger Mittel für Technologie, Verkehrswende, Schulsanierungen und Straßenbau zur Verfügung stehen. Gleichzeitig müsste dann massiv im sozialen Bereich gespart werden. Dabei ist der soziale Frieden in der anstehenden Transformation die zentrale Voraussetzung dafür, dass der Strukturwandel gelingt.

Selbst konservative Ökonomen[2] fordern inzwischen eine Reform der Schuldenbremse in Sachsen und mahnen mehr öffentliche Investitionen an. Sachsen hat in den letzten 20 Jahren gut gewirtschaftet. Deshalb ist es auch unter Beibehaltung seriöser Finanzpolitik möglich, zusätzlich 2,5 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen zu mobilisieren.[3] Diese könnten durch eine Landesinvestitionsgesellschaft verwaltet und nach einem klaren Plan für die technologische, ökologische und soziale Erneuerung von Wirtschaft und Infrastruktur in Arbeitsplätze, Digitalisierung und den Umstieg beim Klimaschutz investiert werden. Der Bund macht es. Andere Bundesländer gehen diesen Weg ebenfalls sehr erfolgreich. 

4. Offensive für mehr Respekt auf dem Arbeitsmarkt

Dies zeigt sich auch beim Thema Fachkräftesicherung. Egal mit wem man redet: Die fehlenden Fachkräfte sind zur entscheidenden Zukunftsfrage geworden. Nicht wenige Unternehmen in Sachsen müssen Aufträge ablehnen, weil ihnen Arbeitskräfte fehlen. Bis 2030 wird sich die Situation weiter verschärfen. Die Abwanderung und der Bevölkerungsrückgang in der Nachwendezeit werden dann in Sachsen demografisch voll zuschlagen.  Laut Prognosen werden in zehn Jahren dem sächsischen Arbeitsmarkt rund 300.000 Erwerbspersonen fehlen, weil sie in Rente gehen.[4] Gleichzeitig ist Sachsen immer noch Schlusslicht bei der Tarifbindung, und es werden hier unterdurchschnittlich niedrige Löhne gezahlt. Das passt nicht zusammen. Niedrige Löhne und längere Arbeitszeiten in zahlreichen Branchen in Sachsen sind nicht nur respektlos gegenüber den Beschäftigten, sondern inzwischen auch ein Nachteil im Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte.

Die Folgen für unsere Demokratie werden dabei oft unterschätzt. Es ist die Ohnmacht vieler hart arbeitender Menschen, für die eigene Arbeitsleistung keine angemessene Vergütung und später Rente zu erhalten, die zur Wut auf die Politik und das fehlende Vertrauen in die Demokratie beigetragen hat. Wenn die ärmeren Schichten wirtschaftlich zurückfallen, bekommen rechtsradikale Parteien Aufwind7. Die besondere Stärke der AfD unter den ostdeutschen Beschäftigten und der hiesigen Wählerschaft ist nicht ohne diese Tatsache zu verstehen.

Sachsen braucht deshalb eine Offensive für mehr Respekt auf dem Arbeitsmarkt. Nur so können wir attraktiv sein für die Arbeitskräfte der Zukunft und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken. Der Zusammenhang zwischen niedrigen Löhnen und einer niedrigen Tarifbindung[5] liegt auf der Hand. Das können wir Schritt für Schritt ändern. Dabei geht es um eine andere Anerkennungskultur gegenüber Betriebs- und Personalräten. Der Staat sollte ein klares Signal des Respekts senden, Vorbild sein. Dazu gehört, dass in allen Unternehmen, an denen der Freistaat die Mehrheit besitzt, ein ordentlicher Tarifvertrag gelten muss. Öffentliche Aufträge sollten bevorzugt an Unternehmen gehen, die ordentliche Arbeitsbedingungen und Tarifverträge nachweisen können. Öffentlich gefördertes Lohndumping muss verhindert werden, auch durch die Einführung eines Vergabemindestlohns von perspektivisch 15 Euro pro Stunde.

[1] https://www.welt.de/wirtschaft/article237552749/Magdeburg-Milliardeninvestitionen-geplant-Intel-will-Chipfabrik-bauen.html

[2] Siehe etwa hier:  https://www.deutschlandfunk.de/strassen-schulen-digitalisierung-oekonom-erheblicher-100.html und hier https://www.rnd.de/wirtschaft/ampelkoalition-mehr-staatsschulden-mehr-investitionen-wie-oekonomen-unter-die-arme-greifen-353EPG36ZVBFNI7QEQ7O4W3IXM.html

[3]  https://www.spd-fraktion-sachsen.de/fonds-fuer-zukunftsinvestitionen/

[4] Siehe https://www.lvz.de/mitteldeutschland/sachsen-werden-300-000-arbeitskraefte-fehlen-OLRXDXGGGH5GTYXBHVHVDTFLQQ.html

[5] https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-osten-liegt-bei-loehnen-und-tarifbindung-zurueck-18682.htm

7 Quelle: Proaño Acosta, Christian;Peña, Juan Carlos; Saalfeld, Thomas; Inequality, macroeconomic performance and political    polarization: An empirical analysis  http://hdl.handle.net/10419/195100