Dulig: Das Klischee des „Jammer-Ossis“ ist unwürdig

Martin Dulig, Ostbeauftragter der SPD, zu den Aussagen vom Ost-Beauftragten der Bundesregierung Christian Hirte (CDU):

„Die Aussagen von Christian Hirte offenbaren fehlendes Wissen und eine fehlende Haltung gegenüber den Lebensleistungen und die Lebenssituation der Menschen in Ostdeutschland. Dass Hirte das alte Klischee des ‚Jammer-Ossis‘ bedient, ist seiner Funktion als Ostbeauftragter der Bundesregierung unwürdig. Er zielt auf die SPD, trifft aber Würde aller Menschen, die hier leben. Das werde ich nicht zulassen.

Herr Hirte nennt es ‚herumjammern‘, wenn man eine Grundrente für jene fordert, die gerade im Osten ihr Leben lang gearbeitet haben und dennoch genauso in der Grundsicherung landen würden, wie die, die nicht gearbeitet haben. Diese Einschätzung halte ich für falsch. Die Grundrente ist eine Anerkennung von Lebensleistung. Das hat etwas mit Respekt zu tun. Deshalb lehnen wir eine entwürdigende und bürokratische Bedürftigkeitsprüfung auch ab.

Herr Hirte meint tatsächlich, es schade dem Standort Ostdeutschland, wenn man über Ungerechtigkeiten in der Nachwendezeit und ihre Folgen bis heute spricht. Ich kann verstehen, dass ein CDU-Politiker nicht gerne über die rücksichtslose Privatisierungspolitik der Treuhand und gebrochene Versprechen unter Helmut Kohl sprechen möchte. Aber ich glaube, wir müssen das tun, um die Herzen der Menschen für die Zukunft zu öffnen.

Es ist außerdem bemerkenswert, wie wenig Ahnung Hirte von der Geschichte Bayerns hat: Bayerns wirtschaftlicher Aufstieg liegt nicht an einem ‚souveränen Auftritt‘, sondern daran, dass Firmen wie Siemens, die Allianz oder Agfa ihren Sitz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von Berlin nach München verlegten. Genau diese Firmenzentralen fehlen im Osten bis heute. Deswegen plädieren wir als Ost-SPD auch dafür, dass der Osten insgesamt eine größere Rolle spielt. Zu häufig herrscht in der Bundespolitik ein Westblick. Spezifische ostdeutsche Bedingungen und Bedürfnisse werden oft zu wenig mitgedacht.“

Dulig empfiehlt dem CDU-Politiker Hirte zudem, die kürzlich veröffentlichten Papiere der Ost-SPD zu lesen: „Natürlich sind neben der sozialen Frage die Themen von Innovation-, Forschung und Infrastruktur für Ostdeutschland zentral. Deswegen wundere ich mich, dass Hirte seiner CDU-Kollegin Karliczek nicht lauter widersprochen habe, als diese behauptete, man brauche 5G ‚nicht an jeder Milchkanne‘. Ich denke, Christian Hirte ist sich hier eigentlich mit der Ost-SPD einig: Wir brauchen im Gegenteil eine Versorgung bis in die kleinen Dörfer – also auch an jeder Milchkanne.“