Lukas Rietzschel: In die Partei eintreten ist so einfach wie ein Netflix-Abo abschließen

Lukas Rietzschel ist erfolgreicher Schriftsteller und Genosse in Görlitz. Wir sprachen mit ihm über seinen Blick auf die SPD.

Lukas, wann, wie und warum bist du zur SPD gekommen?

Das war der Wahlabend bei der Bundestagswahl 2017. Ich war ein Jahr vorher nach Görlitz gezogen. Deshalb hatte ich ganz besonders darauf geschaut: Wie sind jetzt hier die Ergebnisse? Und dann saß ich da und sah, wie die AfD in den Bundestag einzog, sah, wie Michael Kretschmer in Görlitz sein Direktmandat verlor und fragte mich: Was ist denn hier bitte gerade passiert? Da war mir klar: Ich muss mich aktivieren, mich beteiligen. Und dann habe ich noch direkt am Wahlabend online das Beitrittsformular ausgefüllt und bin in die SPD eingetreten. Das geht ganz schnell – wie bei einem Netflix-Abo. Und ich bereue es überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Ich empfinde es als eine wahnsinnige Bereicherung für mich, auch für mein politisches Verständnis. Es ist nach wie vor so, dass ich immer wieder Leuten sage: Tretet in die Parteien ein. Mischt euch ein. Erfahrt mal, wie das ist, sich mit anderen auszutauschen, einen Konsens entstehen zu lassen, eine Entscheidung zu treffen.

Siehst du dich in der Tradition berühmter Schriftsteller:innen, die die Sozialdemokratie öffentlich unterstützt haben?

Ich bin 2017 in die SPD eingetreten. Das war, bevor mein erstes Buch erschienen ist. Das kam erst 2018. Das spielte also für mich damals gar keine Rolle. Aber es ist natürlich schon faszinierend zu sehen, dass sich viele intellektuelle gesellschaftliche Größen eher mit der SPD identifizieren. Das ist zumindest mein Eindruck. Warum das so ist, weiß ich nicht genau. Ich glaube, dass das Thema Solidarität da eine ganz große Rolle spielt. Das ist jedenfalls etwas, das ich ganz stark mit der SPD verbinde. Die eigenen Interessen auch mal in den Hintergrund zu stellen zugunsten des gesellschaftlichen Wohls.

Wie hast du die SPD am Anfang deiner Mitgliedschaft erlebt?

Das waren die schweren Jahre mit den zermürbenden Diskussionen um die Vorsitzenden im Bund und die schwierige Groko-Zeit. Das habe ich auch bei den ersten Treffen im Ortsverein gespürt. Die Stimmung war damals nicht so gut. Ich bin eingetreten, weil ich mitdiskutieren wollte. Am Anfang war ich ein bisschen abgeschreckt, weil es erst einmal um solche Sachen ging wie: Wer ist eigentlich der Stellvertreter vom Stellvertreter für die Kreissitzung? Wer kann diese Delegation noch mit besetzen? Wer steht da zur Verfügung und so weiter. Das heißt, es war ein ewiges Protokoll, bevor wir uns darüber unterhalten konnten, was wir über die Groko denken.

Was kann die SPD besser machen, damit Neumitglieder nicht solche Erlebnisse haben, wie Du damals?

Ich glaube, wir müssen den Leuten ehrlich sagen, was sie erwartet, wenn sie in eine Partei eintreten. Da kommen Menschen, die haben Lust mitzumachen. Vielleicht sind sie am Anfang ein bisschen naiv, war ich auch. Aber wir müssen sie ganz konkret ansprechen: Was stellst du dir vor? Wie möchtest du dich einbringen? Es muss uns gelingen, neue Mitglieder schnell einzubinden. Teambuilding ist total wichtig.

Wie denkst du, können wir es schaffen, mehr Menschen dazu zu bewegen, sich gesellschaftlich zu engagieren?

Eines der Probleme ist, dass es am Ende immer dieselben Menschen sind, die sich engagieren. Egal, ob in Parteien oder in anderen Ehrenämtern. Da investieren Menschen sehr viel von ihrer Freizeit. Das sieht man leider viel zu wenig, wie viel manche Menschen unentgeltlich in die Gesellschaft reinstecken. Der Begriff des mündigen Bürgers, der mündigen Bürgerin ist ein Begriff, den wir ruhig mal wieder einbringen können in den Diskurs. Es ist ja nicht so, dass man sich hier immer nur beschweren kann und dann wird geliefert. Sondern man muss sich natürlich auch ein bisschen selber beteiligen. Demokratie heißt ja nicht nur, dass es Rechte gibt, sondern jeder hat auch Pflichten. Wie soll denn Politik Lösungen finden, wenn sich die Leute nicht beteiligen?

Was sagst du zum Koalitionsvertrag der Ampel?

Ich finde es schade, dass soziale Themen ein bisschen kurz gekommen sind. Die Entscheidung zum Mindestlohn ist gut, das stimmt. Aber wir brauchen endlich ein ordentliches Rentenkonzept. Es kann doch nicht sein, dass wir jetzt sagen, die Rentenversicherung kann an den Kapitalmarkt gehen und gucken, wie sie das Geld vermehrt. Das ist nicht mein Verständnis von Sozialstaat. Ich wünschte mir schon, dass wir unser Rentensystem grundlegend durchdenken und reformieren. Auch deswegen hab ich am Ende SPD gewählt. Ich hätte mir stärkere soziale Komponenten gewünscht. Gerade was die Absicherung Richtung Altersarmut und Kinderarmut angeht. Gut ist, dass jetzt endlich das Hartz-IV-System reformiert wird. Insgesamt habe ich das Gefühl, da passiert jetzt mehr, als in einer großen Koalition mit der CDU möglich gewesen wäre. Das freut mich natürlich.

Im Koalitionsvertrag geht es auch um den Kohleausstieg. Wie kann der in der Lausitz zu einer gelungenen Transformation und für die Menschen zu einer positiven Erfahrung werden?

Ich finde es total logisch und begrüße es auch, dass der Kohleausstieg früher kommen soll. Was mich allerdings schon länger irritiert, sind die absoluten Aussagen, die getroffen werden und dann nach kurzer Zeit revidiert werden müssen. Das ist das, was Vertrauen erschüttert. Ich meine nicht, dass man den Kohleausstieg jetzt vorzieht. Das ist an sich legitim, dass Entscheidungen überdacht und verändert werden. Aber dass man sich vorher hinstellt und sagt: So ist das jetzt, das ist sicher und wird sich nicht verändern. Das ist das Problem.

Alles, was rund um den Ausstiegsprozess jetzt passiert, finde ich sehr lobenswert. Da ist politisch ein Blickpunkt drauf und jede Menge Geld da. Das muss man jetzt sinnvoll nutzen. Da wünsche ich mir eine andere Form der Kommunikation. Denn jetzt passiert das in einer Art und Weise, die genau wieder diese „Ihr-bestellt-wir-liefern-Mentalität“ fördert. Die Politik suggeriert: Macht euch keine Sorgen, wir kümmern uns um euch. Das ist zwar gerade in Ostdeutschland nach den Treuhanderfahrungen und der großen Deindustrialisierung nach 1990 total wichtig, dass man den Menschen Sicherheit gibt, aber es fehlt der Aspekt, den Menschen auch zu sagen, dass sie selber mitverantwortlich dafür sind, dass das gelingt.

Das Gespräch führte Tilman Günther.

Foto: Christine Fenzl

Lukas Rietzschel, geboren 1994 in Räckelwitz, lebt und arbeitet in Görlitz. Er studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Kulturmanagement. 2018 erschien sein Debüt-Roman „Mit der Faust in dieWelt schlagen“. Jetzt hat er seinen Roman „Raumfahrer“ veröffentlicht. Das Buch ist im dtv-Verlag erschienen. Die gebundene Ausgabe hat 288 Seiten und kostet 22 Euro.